Blinde Flecken der Transformationsforschung: Abtreibung in Polen und Rumänien

Die Debatte über die Regulierung von Abtreibung ist vermutlich eine der emotionalsten und offensten nicht nur in Zentral- und Osteuropa, sondern auch überall sonst. Transformationsprozesse in dieser Region beinhalteten sie aber genauso, auffällige Beispiele dafür sind etwa Polen und Rumänien. Sie zeigen einerseits, was die Folgen eines restriktiven Abtreibungsverbots sind, und andererseits, wie aktuell der Diskurs dazu ist.

In der Literatur zu Abtreibungspolitiken in Zentral- und Osteuropa ist grundsätzlich kein Fokus auf Transformationsprozesse der letzten 30 Jahre erkennbar[1], die wenige vorhandene Literatur stammt zum größten Teil aus den 90ern und lässt die jüngsten Debatten außer acht. Dennoch gibt es einige Punkte, über die sich WissenschaftlerInnen ganz allgemein einig sind: Das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen verschmilzt mit Fragen von Legalität, Moral und Sozialpolitik[2]. Echte Wahlfreiheit erfordert beispielsweise gesetzliche Grundlagen für gleichen Lohn für gleiche Arbeit, bezahlte Karenz mit der Möglichkeit, in die gleiche Position zurückzukehren, qualitativ hochwertige, staatliche Kinderbetreuung und ein sicheres Umfeld für die Schwangerschaft[3]. Als weitere Faktoren, die Regulierung oder Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen beeinflussen, können steigender Nationalismus, ein konservatives Frauenbild, der schwere Zugang zu Verhütungsmitteln sowie die Anzahl von Frauen in Entscheidungspositionen festgemacht werden.

Polen vor und nach 1989

Polen hatte seit 1956 einen sehr liberalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen: Sie wurden in Krankenhäusern kostenlos durchgeführt, die betroffene Frau wurde krank geschrieben. Auch Abtreibung aufgrund “der schwierigen Lebensumstände” der Mutter war möglich. Nach 1989 begann ein langer Aushandlungsprozess um ein neues Abtreibungsgesetz zwischen liberalen und konservativen AkteurInnen – wobei letztere vor allem von der katholischen Kirche unterstützt wurden. Das Ergebnis war 1993 ein als widersprüchlich kritisiertes Gesetz, das es ÄrztInnen bis heute schwer macht: Die gesetzlichen Konsequenzen (Haftstrafe) sind nämlich von den Durchführenden zu tragen. Abtreibung ist seitdem nur noch dann erlaubt, wenn die Schwangerschaft auf einem Verbrechen beruht oder lebensbedrohlich für die Mutter ist. Polen wurde vor allem in den 2000ern wiederholt angeklagt, Abtreibungen zu verunmöglichen (etwa dadurch, dass Patientinnen oder ÄrztInnen nicht geschützt wurden), obwohl sie rechtlich zu gewährleisten gewesen wären[4]. Die aktuelle PiS-Regierung spricht schon des Längeren davon, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen weiter einzuschränken. Unter dem Schlagwort “Czarny Protest” (Schwarzer Protest) wurde die Initiative aber durch weltweite Protest verhindert, nach wie vor ist dies aber das Ziel der katholischen Kirche[5].

Die Debatte über die Regulierung von Abtreibung ist vermutlich eine der emotionalsten und offensten nicht nur in Zentral- und Osteuropa, sondern auch überall sonst. Transformationsprozesse in dieser Region beinhalteten sie aber genauso, auffällige Beispiele dafür sind etwa Polen und Rumänien. Sie zeigen einerseits, was die Folgen eines restriktiven Abtreibungsverbots sind, und andererseits, wie aktuell der Diskurs dazu ist.

In der Literatur zu Abtreibungspolitiken in Zentral- und Osteuropa ist grundsätzlich kein Fokus auf Transformationsprozesse der letzten 30 Jahre erkennbar[1], die wenige vorhandene Literatur stammt zum größten Teil aus den 90ern und lässt die jüngsten Debatten außer acht. Dennoch gibt es einige Punkte, über die sich WissenschaftlerInnen ganz allgemein einig sind: Das Recht auf Selbstbestimmung von Frauen verschmilzt mit Fragen von Legalität, Moral und Sozialpolitik[2]. Echte Wahlfreiheit erfordert beispielsweise gesetzliche Grundlagen für gleichen Lohn für gleiche Arbeit, bezahlte Karenz mit der Möglichkeit, in die gleiche Position zurückzukehren, qualitativ hochwertige, staatliche Kinderbetreuung und ein sicheres Umfeld für die Schwangerschaft[3]. Als weitere Faktoren, die Regulierung oder Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen beeinflussen, können steigender Nationalismus, ein konservatives Frauenbild, der schwere Zugang zu Verhütungsmitteln sowie die Anzahl von Frauen in Entscheidungspositionen festgemacht werden.

Polen vor und nach 1989

Polen hatte seit 1956 einen sehr liberalen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen: Sie wurden in Krankenhäusern kostenlos durchgeführt, die betroffene Frau wurde krank geschrieben. Auch Abtreibung aufgrund “der schwierigen Lebensumstände” der Mutter war möglich. Nach 1989 begann ein langer Aushandlungsprozess um ein neues Abtreibungsgesetz zwischen liberalen und konservativen AkteurInnen – wobei letztere vor allem von der katholischen Kirche unterstützt wurden. Das Ergebnis war 1993 ein als widersprüchlich kritisiertes Gesetz, das es ÄrztInnen bis heute schwer macht: Die gesetzlichen Konsequenzen (Haftstrafe) sind nämlich von den Durchführenden zu tragen. Abtreibung ist seitdem nur noch dann erlaubt, wenn die Schwangerschaft auf einem Verbrechen beruht oder lebensbedrohlich für die Mutter ist. Polen wurde vor allem in den 2000ern wiederholt angeklagt, Abtreibungen zu verunmöglichen (etwa dadurch, dass Patientinnen oder ÄrztInnen nicht geschützt wurden), obwohl sie rechtlich zu gewährleisten gewesen wären[4]. Die aktuelle PiS-Regierung spricht schon des Längeren davon, den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen weiter einzuschränken. Unter dem Schlagwort “Czarny Protest” (Schwarzer Protest) wurde die Initiative aber durch weltweite Protest verhindert, nach wie vor ist dies aber das Ziel der katholischen Kirche[5].

Rumänien und das Dekret 770

In Rumänien stellt sich die Situation völlig anders dar: Unter Ceaușescu wurde 1966 ein Abtreibungsverbot (das Dekret 770) erlassen – inklusive fataler Begleitmaßnahmen: Frauen wurden am Arbeitsplatz untersucht, ob sie schwanger waren, Verhütungsmittel waren verboten, Scheidung fast unmöglich. Eine legale Abtreibung gab es faktisch nicht, außer eine Frau hatte bereits vier Kinder (später wurde die Zahl auf fünf angehoben). Die Folgen waren gravierend: Die Zahl der Straßenkinder stieg, die Müttersterblichkeitsrate schnellte in die Höhe, Kinder mit Behinderungen wurden in staatlichen Einrichtungen am Land unter widrigsten Bedingungen zusammengepfercht. Zahllose Frauen starben an den Folgen illegaler Abtreibungen. Nach Ceaușescus Tod 1989 war dieses Abtreibungsverbot das erste Gesetz, das abgeschafft wurde. Zwei Wochen später wurden Verhütungsmittel zugelassen[6]. Auf Basis dieser Erfahrungen fordert heute niemand in Rumänien ein Abtreibungsverbot – nicht einmal die Orthodoxe Kirche. Zwar ist ihre Position völlig klar, nur die Schwelle, ein Verbot zu fordern, ist vor dem historischen Hintergrund zu hoch. Pronatalistische Forderungen von nationalistischen PolitikerInnen gibt es natürlich dennoch, allerdings nicht in dem Ausmaß wie in Polen.

Lesson learned?

Es zeigt sich an diesen beiden Beispielen klar, wie unterschiedlich Transformationsprozesse sogar in ihrer Richtung sein können: In Polen sehen wir seit 1989 eine massive Einschränkung für Frauen, wohingegen die Transformation in Rumänien tatsächlich einen großen Gewinn an Freiheiten bedeutete. So gesehen verläuft (oder verlief) Transformation an diesen beiden Beispielen in diametral gegensätzliche Richtungen. In einen größeren Kontext eingebettet zeigt sich, dass Transformation in Zentral- und Osteuropa nicht allumfassend und für alle mehr Freiheiten bedeutet. Es ist daher immer notwendig, einzelne Beispiele auf ihre spezifischen Umstände zu untersuchen. Ganz allgemein lässt sich aus den beiden Beispielen aber auch ablesen, dass Zentral- und Osteuropa (genauso wie der Rest der Welt) weit davon entfernt ist, die Frage der Selbstbestimmtheit über den eigenen Körper speziell von Frauen gelöst zu haben: Sie ist nach wie vor offen, wird immer wieder neu diskutiert – und muss auch neu verhandelt werden. Ein Blick auf historische Beispiele wie etwa Rumänien, kann aufzeigen, in welchen Dimensionen sich die Folgen solcher Entscheidungen abspielen.

 

Autorin

Marita Gasteiger kommt ursprünglich aus Italien. Nach ihrem Bachelor in Slawistik hat sie sich dem Masterstudium der Interdisziplinären Osteuropastudien an der Universität Wien zugewandt.  Ihr Fokus liegt – auch bedingt durch Studienaufenthalte in Moskau und Minsk sowie einem Auslandssemester in Vilnius – auf Zentralosteuropa und der politikwissenschaftlichen Transformationsforschung. Bei Ponto ist sie eher sporadisch zu Gast, der Neujahrsvorsatz, die Frequenz 2019 zu erhöhen, ist aber gefasst.

 

Literaturnachweise

[1] vgl.ChristianeLemke,Frauen und Politik in Transformationsprozessen Osteuropas. In:ChristianeLemke/VirginiaPenrose (Hg.) Frauenbewegung und Frauenpolitik in Osteuropa (Campus Verlag, Frankfurt am Main 2003)15-33

[2] BarbaraEinhorn,Cinderella Goes to Market. Citizenship, Gender and Women‘s Movements in East Central Europe (Verso/ London/New York 1993) 74f

[3] Einhorn, Cinderella Goes to Market. Citizenship, 74f

[4] Center for reproductive rights, P. and S v. Poland: Poland’s Obligation to Provide Legal Abortion Services to Adolescents,online unter  https://www.reproductiverights.org/sites/crr.civicactions.net/files/documents/PS_FS_4.13.pdf

[5] RobertTait, Thousands protest against proposed stricter abortion law in Poland, online unterhttps://www.theguardian.com/world/2016/sep/18/thousands-protest-against-proposed-stricter-abortion-law-in-poland

[6]Lesenswert sind dazu vor allem die anthropologischen Studien von Gail Kligman unter dem Titel “The Politics of Duplicity. Controlling reproduction in Ceauscescu’s Romania”, wenn auch aus 1998.

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