Praktisch kein Tag vergeht, an dem nicht über Grenzschutz gesprochen wird. Nur: Was ist Grenzschutz eigentlich, wie lässt er sich faktisch umsetzen und welche europa- und völkerrechtlichen Rahmenbedingungen sind zu beachten?
Wie beeinflusst Grenzschutz die Menschen vor Ort und jene, die gezwungen sind, Grenzen regelmäßig zu überqueren?
Was wurde aus dem weitverbreiteten Glauben an eine globalisierte Welt ohne Grenzen?
Und nicht zuletzt, wie wird Grenzschutz in der österreichischen Europa- und Außenpolitik behandelt?
Diese und weitere Fragen wurden am Donnerstag, dem 21. Juni 2018, anlässlich unserer ersten Mélange Diplomatique diskutiert. MICHAEL KRULL, Experte für Schengen-Angelegenheiten im Rahmen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft, lieferte einen kurzen Input zu den wichtigsten Entwicklungen in diesem Bereich sowie zu den Vorhaben der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft, die einen starken Fokus auf die Themen Außengrenzschutz und Migration legt: Österreichs EU-Ratsvorsitz beginnt ab dem 1. Juli 2018 und steht unter dem Motto „Ein Europa, das schützt“. Konkret wird anvisiert, Defizite beim Schutz der Außengrenzen zu verringern, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) personell aufzustocken und mittelfristig derzeit wiedereingeführte Binnengrenzkontrollen zwischen Schengen-Staaten wieder abzubauen sowie zum Schengen-Regime zurückzukehren. Zudem sollen Kontrollen im Rahmen von Grenzübertritten zunehmend digitalisiert werden (z.B. durch e-Gates oder durch die Einrichtung eines Entry-Exit-Systems).
RALPH JANIK, Völkerrechtler und Blogger, skizzierte daraufhin knapp die Entwicklung des heutigen EU-Grenzschutzes: Gemäß dem Schengener Übereinkommen von 1985 wurde auf den gemeinsamen Grenzschutz nach außen gesetzt, während gleichzeitig der Abbau von Binnengrenzen anvisiert wurde. In den 1980er Jahren habe dieses Prinzip auch gut funktioniert, da die an die EG (Europäische Gemeinschaft) angrenzenden Staaten im östlichen Europa grundsätzlich die Emigration ihrer Bürger unterbanden. Zudem hat Ralph den Mythos der „Festung Europa“ thematisiert, zumal eine komplette Schließung der EU-Außengrenzen aus EU- und menschenrechtlicher Perspektive nicht möglich sei.
FABIAN SOMMAVILLA, Journalist beim STANDARD mit Schwerpunkt Grenzregionen,stellte heraus, dass bereits seit Ende der 1990er Jahre von der österreichischen Regierung Asyl und Außengrenzschutz zunehmend vermischt bzw. synonym verwendet werde, was in der aktuellen Regierung noch klarer zum Vorschein komme. Gleichzeitig sei das Botschaftsasyl von EU-Staaten praktisch abgeschafft worden, wodurch die Grenze illegal übertreten werden müsste, um überhaupt einen Asylantrag stellen zu können. Zudem würden die Grenzen der „Festung Europa“ immer weiter nach außen verschoben, da die EU bereits in Nordafrika die Errichtung von Mauern fördert und im Rahmen von sogenannten „Ertüchtigungsmissionen“, beispielsweise in Eritrea, Nigeria und Mali (teils Regime, in denen abscheuliche Menschenrechtsverletzungen begangen werden), PolizistInnen ausbildet.
Nach diesen drei kurzen eröffnenden Beiträgen wurde die momentane Politik Österreichs und der EU im Bereich des Grenzschutzes von den Teilnehmenden kritisch diskutiert. So wurde etwa bemängelt, dass die Aufstockung von Frontex lediglich zur Abschreckung dienen würde, aber gleichzeitig das Asylrecht nicht verändert werde. Daher seien Flüchtende zum illegalem Grenzübertritt mit Hilfe von Schleppern gezwungen, was schließlich das Schlepperwesen nur noch stärken würde, wobei es natürlich häufig eine fließende Grenze zwischen Flüchtenden und Schleppern bzw. Schmugglern gebe. Weiter wurde auf bisherige Forschungsergebnisse verwiesen, die zeigen, dass sich bei restriktiveren Grenzkontrollen die Migrationsströme oft nur auf andere Routen verlagerten. Darüber hinaus könne es bei der Ankündigung von geplanten Migrationseinschränkungen zu sogenannten „Jetzt oder nie“-Schüben kommen, wodurch plötzlich mehr Menschen in ein bestimmtes Land/eine bestimmte Region migrieren würden. Weitere Aspekte, die im gängigen Diskurs oft vernachlässigt würden, waren die Themen der „arrival cities“ und der „city-to-city“-Migration, welche zeigen, dass sich migrationssteuernde Maßnahmen eher auf die städtische Ebene als auch auf den Bereich Grenzschutz konzentrieren sollten. Zudem wurde an der gängigen Symbolpolitik gegen Migration Kritik geübt, zumal viele PolitikerInnen den eigenen Staat für MigrantInnen besonders „unattraktiv“ gestalten möchten.
Diese unterschiedlichen Diskussionsansätze haben schließlich aufgezeigt, dass das Thema „Grenzschutz“ in der aktuellen Innen-, Außen- und Europapolitik äußerst präsent ist, divers diskutiert wird und durch sein Konfliktpotenzial zur ‘Zerreißprobe’ für Europa geworden ist. Aufgrund der komplizierten Interessenslage und politischen Situation scheint ein Konsens über ein gemeinsames Vorgehen seitens der EU-Mitgliedsstaaten momentan nicht in Sicht zu sein. Deshalb ist es wichtig, dass eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema Grenzschutz stattfindet und evidenzbasierte sowie langfristige Lösungen forciert werden.